Sektion Klinik

Die Tätigkeit der Sektion Klinik ist der mit Beharrlichkeit geübte Versuch, auch in Österreich die von Lacan initiierte Rückbesinnung auf das Denken Freuds und die Fortführung und Weiterentwicklung der Psychoanalyse in dessen Sinn und Geist mit Hilfe des Erkenntnisfortschritts sowohl tradierter als auch neuerer psychoanalytischer Grundlagendisziplinen einzuführen.

Diese mitunter einer Sisyphusarbeit gleichende Arbeit ist als solche mitbedingt durch ein labiles Gleichgewicht, in welches sich die Erfahrung des Unbewussten als der hauptsächlichen Motivquelle menschlichen Handelns bestenfalls bringen lässt und aus dem sie immer wieder durch die Macht der Verdrängung gebracht wird. Denn das Unbewusste ist, seiner Entstehung entsprechend, ein Wissen, von dem das Subjekt eigentlich nichts wissen möchte.

Als Möglichkeit einer begrenzten Befreiung des Menschen aus einer nur bedingt von ihm selbst verschuldeten, weil strukturellen Unmündigkeit stellt die Psychoanalyse ein Aufklärungsinstrument besonderer Art dar. Die psychoanalytische Subjektkritik mit ihrem Vermögen, dem Allgemeinen und den Systemen das Individuelle und Singuläre mit Nachdruck entgegenzusetzen, gerät mit einem solchen Unterfangen unweigerlich in eine Gegnerschaftsposition zu jeder gesellschaftlichen Machtordnung. Denn sie zerlegt deren Gefüge, indem sie jedes Handeln und jedes handelnde Subjekt vor die Sinnfrage stellt und sie zur Preisgabe ihrer geheimen Intentionen zwingt. In dieser Hinsicht ist sie allerdings der Gefahr der jeder Aufklärung innewohnenden Dialektik mit deren Neigung, einen eigenen Herrschaftsanspruch durchzusetzen, ausgesetzt. Die dagegen gerichtete und stets notwendige Selbstreflexion läuft daher auf einen Anspruch auf Macht hinaus, um Macht zu zerstören.

Somit hat die Psychoanalyse, um ihre Existenz aufrecht zu erhalten, stets an zwei Fronten zu kämpfen. Sie muss sich nicht nur gegen den auflösenden Zugriff von aussen wehren, sondern hat auch gewissermassen in sich selbst Tendenzen und Kräften zu begegnen, welche permanent auf ihre Entwaffnung und Destruktion hinarbeiten. Denn auf dem Weg ihrer fortschreitenden Erkenntnis, der bekanntlich vom scheinbar sinnlosen Symptomverhalten des Neurotikers ausgegangen ist, ist die Psychoanalyse sehr rasch an die Kraft der Einbildung und an die Macht der Illusion geraten. Ihr Wahrheitsanspruch, der auf die Wahrheit eines Sprechens in Differenz zur Lüge zielte, musste sich am Hang des Menschen zu seiner Selbsttäuschung reiben, gegenüber dem die Dennnochdurchsetzung des Wahrhaftigen zumeist nur unvollständig gelingen kann. In seinem Entwurf des Spiegelstadiums der Subjektentwicklung hat Lacan die existenzielle Begründung solcher Selbstverkennungstendenzen freigelegt und gezeigt, dass das menschliche Subjekt aufgrund seiner mangelhaften biologischen Ausstattung in seiner Ichhaftigkeit das Produkt einer Identifizierung mit einer ihm äusseren imaginären Repräsentanz ist. Diese ursprüngliche Entfremdung charakterisiert das Zu-Sich-Kommen des Menschen als einen permanent aufrechtzuerhaltenden Wiederaneignungsprozess. Die Subjektkonstituierung im Medium des Imaginären kann aber nicht unabhängig gedacht werden von der Einwirkung einer anderen Instanz, welche an das zu sich kommende Subjekt ebenfalls von aussen herantritt: die Ordnung des Symbolischen, d.h. die Sprache. Zwar ist diese selbst wiederum entfremdend, sie kann aber gleichzeitig die ursprüngliche Entfremdung in das Bild im Akt jener besonderen Individualisierung wieder aufheben, in welchem sich aus dem Universum der „langue“ das Singuläre der „parole“ herausbildet, durch welchen Vorgang sich ein Ich in einem einzigartigen Gesprochenwerden an seiner eigenen Unbewusstheit als privater Signifikantenverkettung festmachen kann. Bis hinein freilich in jenes Privatissimum individueller Mythenbildungen als Folge unzureichender Distanzierung vom Ereignis des Traumas durch die aufhebende Wirkung des Symbols, was bekanntlich das Wesen der Neurose ausmacht.
Privatheit kennzeichnet auch den Raum, in dem das psychoanalytische Dispositiv seine Wirkung entfalten kann, wo von jeher ein Junktim von Heilen und Forschen bestanden hat. Nicht zuletzt deshalb ist die Arbeit der Sektion Klinik an die Intimität einer verhältnismässig kleinen Gruppe gebunden. Dabei steht die Erarbeitung Lacanscher Texte und Seminarniederschriften und die Prüfung ihrer Relevanz für die psychoanalytische Praxis im Vordergrund. Ergebnisse dieser Bemühungen werden öfters im öffentlicheren Rahmen von Veranstaltungen vorgestellt – teilweise in Zusammenarbeit mit der Sektion Ästhetik. Den praktizierenden österreichischen Psychoanalytikern in der Arbeitsgruppe fällt es nicht immer leicht, sich von ihren Sozialisationsbedingungen zu distanzieren, welche gekennzeichnet sind von einem durch die Vertreibung der Psychoanalyse bewirkten Bruch bodenständiger Identität und von der Übernahme einer am (Nord-)Amerikanismus orientierten Konzeption ihrer Theorie und ihrer Praxis. Nicht zuletzt dagegen ist der Versuch des Europäers Lacan zu verstehen, die Psychoanalyse wieder auf die Beine einer am Geist und am Buchstaben Freuds ausgerichteten Disziplin zu stellen.